Kirchhain Kernstadt
Praxisbeispiel zum Qualitätsstandard 5: "Gemeinwesenarbeit GWA stärkt Gemeinwesen und macht das soziale und räumliche Gefüge einer Nachbarschaft sichtbar und erlebbar"Name des Standorts
Kirchhain Kernstadt
Wie ist die Gemeinwesenarbeit vor Ort verankert?
Träger der Gemeinwesenarbeit ist der Landkreis Marburg-Biedenkopf, während die Stadt Kirchhain als Standortkommune die Verantwortung für die Umsetzung vor Ort übernimmt. Die Gemeinwesenarbeit ist fest in die kommunalen Strukturen eingebunden und dem Fachbereich Familie und Soziales zugeordnet.
Durch seine Aufgaben ist der Fachbereich nicht nur zentrale Anlaufstelle für Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund, sondern auch für Menschen, die von sozialer Benachteiligung betroffen sind. Er ist verantwortlich für die Umsetzung von präventiven Maßnahmen und unterstützenden Angeboten, die positive Lebensbedingungen für alle Altersgruppen schaffen. Die Gemeinwesenarbeit umfasst dabei eine Vielzahl von Projekten und Initiativen, die u.a. den sozialen Zusammenhalt und die Teilhabe der Bürger:innen stärken.
Das Quartiersbüro der Gemeinwesenarbeit ist in einem zentral gelegenen Gebäude in der Kernstadt untergebracht. Es befindet sich im Erdgeschoss, ist barrierefrei zugänglich und bietet den Bürger:innen eine niedrigschwellige Anlaufstelle. Diese zentrale Lage sorgt dafür, dass die Gemeinwesenarbeit gut erreichbar ist und ihre Sichtbarkeit im Quartier erhöht wird. Direkt angrenzend an das Büro der Gemeinwesenarbeit befinden sich das Büro des Mitarbeiters für Flüchtlingsangelegenheiten, die Kindergartenverwaltung sowie die Leitung des Fachbereichs Familie und Soziales. Dies fördert den engen Austausch und eine effektive Zusammenarbeit. In unmittelbarer Nähe liegt außerdem das Jugend- und Kulturzentrum der Stadt Kirchhain, in dem sowohl die Kinder- und Jugendförderung als auch die Mitarbeiter:innen der Seniorenarbeit untergebracht sind. Das Zentrum stellt größere Räume für Treffen, Gruppenveranstaltungen und Besprechungen zur Verfügung und bietet somit zusätzliche Möglichkeiten für die Gemeinwesenarbeit.
Wie wurde der Qualitätsstandard umgesetzt?
Umsetzung und Gestaltung
Im Mai 2023 haben wir in Kooperation mit dem Weltladen Kirchhain e.V. das Projekt „Auf Achse – Das wandernde Café“ ins Leben gerufen, um einen mobilen Treffpunkt im Quartier zu schaffen, der den sozialen Austausch fördert, Barrieren abbaut und nachhaltige Beziehungen zwischen den Bewohner*innen unterstützt. Ein Bauwagen dient dabei als zentraler Anlaufpunkt, in dem Materialien für Aktionen und Angebote sowie verschiedene Sitzmöglichkeiten und Sonnen-/Regenschutz untergebracht sind.
Das Café findet wöchentlich an einem festen Tag statt und wird von zwei Ansprechpartner:innen begleitet: einer Mitarbeiterin der Gemeinwesenarbeit und einer Mitarbeiterin des Weltladens Kirchhain, die politisch aktiv ist und als Ansprechpartnerin für den Arbeitskreis Flüchtlinge fungiert. Bei jedem Treffen stellen wir Kaffee, Tee, verschiedene Getränke und kleine Snacks zur Verfügung, die durch Spenden finanziert werden. Auch die Bewohner:innen tragen aktiv zur Gestaltung des Treffens bei, indem sie selbst Kaffee, Kuchen oder Getränke mitbringen und teilen. So wird das Café von der Gemeinschaft mitgestaltet und trägt zur Förderung des nachbarschaftlichen Miteinanders bei.
Das wandernde Café kommt direkt in die Nachbarschaft, was einen unkomplizierten Zugang und eine niedrigschwellige Teilnahme ermöglicht. Diese Form der Mobilität hilft uns, auch Bewohner:innen zu erreichen, die wir mit festen Treffpunkten nicht ansprechen würden. Mindestens zwei Monate bleibt der Bauwagen an einem Standort, um den Bewohner:innen ausreichend Zeit zu geben, sich mit dem Angebot vertraut zu machen und Beziehungen aufzubauen.
Dabei verfolgen wir auch das Ziel, dass sich die Bewohner:innen auch nach der Zeit weiterhin treffen oder sich so untereinander organisieren, dass sie den Kontakt aufrechterhalten und gemeinsam aktiv bleiben. So soll eine nachhaltige Vernetzung im Quartier entstehen, die zu langfristigen sozialen Bindungen führt.
Von November bis Januar gibt es eine Winterpause, in der das Café nicht regelmäßig geöffnet ist. In dieser Zeit wird der Bauwagen jedoch punktuell geöffnet, um auch in der kälteren Jahreszeit den Kontakt zu den Bewohner:innen aufrechtzuerhalten und Gelegenheiten für kleinere, themenbezogene Treffen oder Aktionen zu bieten. So bleibt das Café auch während der Winterpause weiterhin ein Ort der Begegnung und des Austauschs.
Bereits zu Beginn des Projekts wurden die Bewohner:innen aktiv in die Gestaltung des Bauwagens einbezogen. Das Projekt startete mit einem Nachbarschaftsfest zum Tag der Nachbarn, das in Kooperation mit einer Kita im Quartier organisiert wurde. Dabei begannen wir gemeinsam den Bauwagen zu restaurieren: Die Teilnehmenden schliffen, grundierten und strichen ihn von Hand und wählten ein gemeinsames Logo aus. Diese Aktion zog sich über Sommer und Herbst, wodurch nicht nur das Interesse am wandernden Café geweckt, sondern auch Vandalismus vorgebeugt wurde, da die Bewohner:innen Verantwortung übernahmen. Nach Abschluss der Restaurierung wechselte der Bauwagen das erste Mal seinen Standort.
Die Nachbarschaften, in denen das wandernde Café bis jetzt Halt gemacht hat, sind sehr unterschiedlich. Sie zeichnen sich nicht nur durch die vielfältige Zusammensetzung der Teilnehmer:innen aus, sondern auch durch die unterschiedlichen Themen, die hier diskutiert werden. Während in einer Nachbarschaft vielleicht stärker lokale Anliegen im Vordergrund stehen, sind es in einer anderen vielleicht eher gesellschaftspolitische Themen wie Migration oder Integration. Diese Vielfalt ist bereichernd und spiegelt die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen der Bewohnerinnen wider.
Ergebnisse und Erfolge
Das wandernde Café hat einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des nachbarschaftlichen Miteinanders geleistet. Durch die regelmäßigen Treffen sind viele Bewohner:innen, die sich zuvor nur flüchtig kannten, miteinander ins Gespräch gekommen und haben neue Kontakte geknüpft. Es haben sich kleine Netzwerke entwickelt, in denen sich Menschen gegenseitig unterstützen, sei es beim Einkaufen, bei der Müllentsorgung oder durch andere kleine Hilfestellungen. Auch gemeinsame Aktivitäten wie Grillabende oder gemütliche Treffen im kleineren Kreis sind aus den Café-Treffen entstanden.
Darüber hinaus hat das Café als Raum für den Austausch über gesellschaftliche Themen an Bedeutung gewonnen. Diskussionen über die Flüchtlingssituation, das Wahlverhalten und Menschenrechte haben stattgefunden, was das Bewusstsein für gesellschaftliche Fragestellungen geschärft und den Dialog angestoßen hat.
Das Projekt hat auch zur Gewinnung neuer Ehrenamtlicher beigetragen, die sich nun in verschiedenen Bereichen wie dem Repair-Café oder als Kuchenbäcker:innen engagieren. Weitere Akteure, wie die Gemeindepfleger:innen der Stadt, der Seniorenbeirat oder die Digital-Lotsen, haben die Gelegenheit genutzt, das Café als Plattform zu nutzen, um mit den Bewohner:innen ins Gespräch zu kommen und ihre Angebote vorzustellen.
Darauf sind wir stolz:
Wir sind besonders stolz darauf, dass wir mit „Auf Achse – Das wandernde Café“ einen offenen und zugänglichen Treffpunkt direkt in die Nachbarschaften gebracht haben. Durch die niedrigschwellige Gestaltung konnten wir viele Menschen erreichen, die wenig Zugang zu bestehenden Strukturen haben oder sonst eher zurückhaltend sind. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich das nachbarschaftliche Miteinander verändert hat – aus flüchtigen Bekanntschaften sind echte Beziehungen entstanden, und die Bewohner:innen haben begonnen, sich gegenseitig zu unterstützen.
Ein weiterer Erfolg ist die aktive Beteiligung der Bewohner:innen, die nicht nur bei der Restaurierung des Bauwagens mitgewirkt haben, sondern sich auch regelmäßig mit eigenen Beiträgen wie Kuchen oder Getränken einbringen. Diese Eigeninitiative zeigt uns, dass das Café nicht nur ein „von außen“ initiiertes Angebot ist, sondern von den Menschen selbst als ihr eigenes Projekt angenommen wird.
Wir sind auch stolz darauf, dass das wandernde Café nicht nur ein Ort der Begegnung, sondern auch ein Raum für gesellschaftliche Diskussionen wurde. Die Gespräche über politische und soziale Themen zeigen, dass die Menschen einen offenen Austausch suchen und unser Café ihnen diesen Rahmen bietet.
Nicht zuletzt hat das Projekt auch für uns als Gemeinwesenarbeit viele wertvolle Kontakte geschaffen – sowohl zu den Bewohner:innen als auch zu anderen Akteuren in der Stadt. Diese Vernetzung hilft uns, die Bedarfe und Herausforderungen im Quartier noch besser zu verstehen und gezielt auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen.
Diese positiven Entwicklungen motivieren uns, das Projekt weiterzuführen und auszubauen. Die vielen Begegnungen, die Geschichten, die wir hören, und die Veränderungen, die wir in den Quartieren erleben, geben uns die Energie, immer weiterzumachen.
Welche Tipps habt ihr für andere GWAler:innen?
Unsere Tipps für die Umsetzung eines „Wandernden Cafés“ in der Gemeinwesenarbeit:
- Geduld haben: Ein solches Format braucht Zeit, um in der Nachbarschaft Fuß zu fassen. Es dauert, bis das Angebot den Bewohner:innen bekannt ist und regelmäßig angenommen wird. Seid geduldig und gebt dem Projekt die nötige Zeit, um Vertrauen zu gewinnen.
- Flyer in einfacher Sprache gestalten: Gestaltet die Flyer so, dass sie für alle verständlich sind, insbesondere für Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen oder wenig Zugang zu formellen Informationen haben. Achtet auf eine klare und einfache Sprache sowie ansprechende, gut sichtbare Gestaltung.
- Persönliche Ansprache und Flyer direkt verteilen: Setzt auf die direkte Kommunikation. Geht in die Nachbarschaften und sprecht die Menschen persönlich an, verteilt die Flyer direkt in Briefkästen oder hängt sie sichtbar aus. So erreicht ihr gezielt die Bewohner:innen und könnt ihre Aufmerksamkeit gewinnen.
- Multiplikatoren finden: Es klingt oft einfacher, als es ist. Die Suche nach Personen oder Gruppen, die das Projekt weitertragen und die Zielgruppe erreichen, kann sich schwieriger gestalten als erwartet. In einigen Nachbarschaften ist es uns auch nicht immer gelungen, schnell passende Multiplikatoren zu finden. Diese sind jedoch entscheidend, um auch schwer erreichbare Menschen anzusprechen und ins Projekt zu holen. Daher darf man die Suche nach Multiplikatoren nicht aufgeben – mit Geduld und hartnäckigem Engagement kann es gelingen, geeignete Ansprechpersonen zu finden, die das Projekt unterstützen und weiterverbreiten.
- Regelmäßige Treffen anbieten: Haltet regelmäßig und kontinuierlich Treffen ab, auch über einen längeren Zeitraum hinweg. So können Beziehungen aufgebaut werden, und das Vertrauen der Bewohner:innen wird langsam gewonnen. Es ist wichtig, dass sie euch als Teil der Nachbarschaft wahrnehmen und regelmäßig die Gelegenheit haben, teilzunehmen.
- Standorte sorgfältig auswählen: Achtet bei der Auswahl der Standorte darauf, dass sie familienfreundlich und einladend sind. Es sollte auch etwas für Kinder zum Spielen vorhanden sein. Zudem ist es wichtig, dass der Standort gut sichtbar ist – entweder von der Straße aus oder von den angrenzenden Wohnhäusern. Diese Sichtbarkeit weckt Neugierde und ermutigt die Menschen, vorbeizukommen.
- Nicht entmutigen lassen: Seid nicht enttäuscht, wenn zu Beginn oder zwischendurch nicht viele Menschen erscheinen. Gerade bei neuen Formaten und in den ersten Wochen kann es zu geringen Teilnehmerzahlen kommen. Bleibt hartnäckig und nutzt jede Gelegenheit, um das Café weiter bekannt zu machen.
- Die eigenen Erfolge feiern: Feiert euch auch für die kleinen Erfolge und Meilensteine, die ihr auf dem Weg erreicht. Es geht nicht nur um große Durchbrüche, sondern auch um die kleinen positiven Veränderungen, wie die Zunahme von gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Nachbarschaften. Diese positiven Entwicklungen sind genauso wertvoll und geben neue Motivation.
Förderung von Gemeinwesenarbeit in Hessen
Mit der Servicestelle Gemeinwesenarbeit, die im Rahmen dieser Richtlinie gefördert wird, unterstützt die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Hessen e.V. die Umsetzung und Weiterentwicklung der Gemeinwesenarbeit in Hessen. Das Angebot richtet sich an alle Akteur_innen, die mit Hilfe der Gemeinwesenarbeit die Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen und Quartieren verbessern möchten. Die Servicestelle Gemeinwesenarbeit steht u.a. für Beratung, Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch, Fortbildung und bei inhaltlichen Fragen rund um das Förderprogramm des Landes zur Verfügung.