Kassel Oberzwehren
Praxisbeispiel zum Qualitätsstandard 1: "Gemeinwesenarbeit handelt mit dem strategischen Ziel, die Lebensbedingungen in benachteiligten Quartieren ganzheitlich zu verbessern"Name des Standorts
Kassel Oberzwehren
Wie ist die Gemeinwesenarbeit vor Ort verankert?
Die Gemeinwesenarbeit in Oberzwehren ist beim Träger Frauentreff Brückenhof e.V. angesiedelt, der seit 40 Jahren stadtteilbezogene Frauen- und Familienbildung umsetzt. Der Familientreff Oberzwehren ist eine zentrale Anlaufstelle für die Bewohner:innen des Stadtteils und dient als Stadtteilbüro.
Hier wird offen zugehört, Orientierung gegeben und gemeinsam überlegt, welche Wege und Lösungen passend sind. Fünfmal die Woche sind wir vor Ort. Menschen können dann mit ihren Anliegen vorbeikommen, sei es zu Themen des Alltags, zum Miteinander im Stadtteil oder zu Fragen rund um Wohnen, Familie oder soziale Angebote.
Die Gemeinwesenarbeit ist eng mit den Netzwerken vor Ort verbunden. Der Austausch mit den Menschen im Stadtteil zeigt, was sie bewegt, und bildet die Grundlage für gemeinschaftliche Entwicklungen. Oft entstehen aus Gesprächen neue Ideen, die gemeinsam weitergedacht und umgesetzt werden, um das Leben im Stadtteil aktiv zu gestalten.
Wie wurde der Qualitätsstandard umgesetzt?
In unserer Arbeit setzen wir den Qualitätsstandard um, indem wir den Stadtteil als Ganzes betrachten und sozialräumliche Analysen nutzen, um Bedarfe gezielt zu identifizieren. Durch partizipative Prozesse binden wir die Bewohner:innen aktiv ein, sei es bei der Gestaltung von Begegnungsorten oder der Planung von Veranstaltungen. Besonders wichtig ist uns, niedrigschwellige Angebote zu schaffen, die soziale Unterstützung mit positiven Erlebnissen verbinden. Kooperationen mit lokalen Akteuren, wie der Stadt, Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen, ermöglichen es uns, Synergien zu nutzen und nachhaltige Strukturen aufzubauen.
Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Arbeit mit Roma-Familien, die vor etwa sieben bis acht Jahren aus Bulgarien in den Stadtteil gezogen sind. Viele von ihnen lebten in prekären Wohnverhältnissen, oft in informellen Strukturen, in denen Arbeitgeber gleichzeitig als Wohnungsgeber auftraten. Über Streetwork konnte zunächst Vertrauen aufgebaut werden, um den Zugang zur Zielgruppe zu erleichtern. In einem geschützten Raum hatten die Menschen die Möglichkeit, über ihre Bedarfe und Herausforderungen zu sprechen. Daraus entstand ein Elterncafé, das nicht nur als Anlaufstelle diente, sondern auch eine stärkere Bindung zur Schule förderte – insbesondere, um die hohe Zahl an Fehlzeiten zu reduzieren.
Gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften konnten bessere Wohnverhältnisse geschaffen werden, während Aufklärungsarbeit zu Rechten und Pflichten im Wohnumfeld – etwa zur Mülltrennung – durch praktische Aktionen, z. B. mit der Stadtreinigung, unterstützt wurde. Inzwischen haben viele der Beteiligten stabilere Arbeitsverhältnisse gefunden und sind aktiv ins Stadtteilleben eingebunden, sei es durch die Teilnahme an Festen oder durch eigenes Engagement. Besonders erfreulich ist, dass die ersten Kinder dieser Familien mittlerweile Schulabschlüsse erreichen.
Die Erfolge zeigen sich in den gewachsenen Netzwerken und dem zunehmenden Engagement der Menschen vor Ort. Projekte wie das Stadtteilcafé oder gemeinsame Aktionen zur Verschönerung des Quartiers fördern das Miteinander und stärken das Gefühl der Zugehörigkeit. Besonders stolz sind wir darauf, dass unser Ansatz nicht nur Begegnungen schafft, sondern auch langfristige Veränderungen anstößt – sei es durch verbesserte Infrastruktur, stärkere Beteiligung oder neue Formen der Zusammenarbeit.
Die Motivation, weiterzumachen, kommt aus den Erlebnissen im Alltag: Wenn Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen, Barrieren überwunden werden und sich Gemeinschaft entwickelt, zeigt sich, dass unsere Arbeit wirkt. Die kleinen Momente, in denen sich jemand willkommen fühlt, Unterstützung erfährt oder neue Perspektiven entdeckt, geben uns die Energie, weiterhin aktiv für den Stadtteil einzutreten.
Welche Tipps habt ihr für andere GWAler:innen?
Man muss den Stadtteil gut kennen und verstehen. Das gelingt am besten durch direkte Gespräche mit den Menschen vor Ort und den Blick auf ihre tatsächlichen Bedürfnisse. Verschiedene Methoden helfen dabei, möglichst viele zu erreichen – sei es durch offene Treffpunkte, Streetwork oder feste Gruppenangebote. Wichtig ist, dass die Hürden zur Teilnahme so niedrig wie möglich sind.
Die Menschen sollen nicht nur informiert, sondern aktiv einbezogen werden. Wer mitgestalten kann, bleibt eher dabei. Auch kleine Erfolge zählen: Wenn sich Wohnsituationen verbessern, jemand eine feste Arbeit findet oder mehr Kinder regelmäßig zur Schule gehen, zeigt das, dass sich der Einsatz lohnt. Kooperationen mit Schulen, Kitas oder Wohnungsbaugesellschaften sind dabei oft entscheidend. Gleichzeitig sollte man immer wieder überprüfen, was funktioniert und wo nachgesteuert werden muss. So bleibt die Arbeit lebendig und passt sich den Gegebenheiten an.
Ein nachhaltiger Ansatz ist es, bestehende Ressourcen und Netzwerke zu nutzen und interdisziplinär zu arbeiten. Kooperationen mit Schulen, Vereinen, kulturellen Einrichtungen oder kommunalen Gremien stärken die Gemeinwesenarbeit und ermöglichen eine breitere Wirkung. Unser Kinderbuchprojekt mit den Grundschulen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit genutzt wird, um wichtige gesellschaftliche Themen wie Vielfalt und Toleranz aufzugreifen. Die Kombination aus Schreibwerkstatt, künstlerischer Gestaltung und demokratischem Entscheidungsprozess hat nicht nur die Kinder aktiv eingebunden, sondern wird auch langfristig einen Bildungsbeitrag leisten.
Dadurch bleibt unsere Arbeit nicht nur reaktiv, sondern gestaltet aktiv den gesellschaftlichen Wandel im Quartier mit.
Kibar Kay-Delibas
Frauentreff Brückenhof e.V.
kay-delibas@frauentreff-brueckenhof.de
gefördert seit 2016
GWA seit 2016 vor Ort
Förderung von Gemeinwesenarbeit in Hessen
Mit der Servicestelle Gemeinwesenarbeit, die im Rahmen dieser Richtlinie gefördert wird, unterstützt die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Hessen e.V. die Umsetzung und Weiterentwicklung der Gemeinwesenarbeit in Hessen. Das Angebot richtet sich an alle Akteur_innen, die mit Hilfe der Gemeinwesenarbeit die Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen und Quartieren verbessern möchten. Die Servicestelle Gemeinwesenarbeit steht u.a. für Beratung, Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch, Fortbildung und bei inhaltlichen Fragen rund um das Förderprogramm des Landes zur Verfügung.